China in Frankfurt - Lesung von Colin Goldner: "Der Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs"
Datum: | Samstag, 18. Oktober 2008 |
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Zur Buchmesse lud der OV Frankfurt gemeinsam mit dem Club Voltaire und den Freidenkern den Autor Colin Goldner ein. Goldner stellte die überarbeitete Neuauflage seines Werks „Der Dalai Lama: Fall eines Gottkönigs“ vor. OV-Vorsitzender Peter Menne stellte den Autor als Psychologen, Wissenschaftsjournalisten und ausgewiesenen Esoterikkritiker vor: Goldner veröffentlichte über „Die Psycho-Szene“ (2001) und „Alternative Diagnose- und Therapieverfahren“ (2008), wo er nicht zuletzt die „Familienaufstellungen“ nach Bert Hellinger kritisch unter die Lupe nimmt.
Colin Goldner berichtete über die historische Situation in Tibet von der Zeit unter mongolischer Herrschaft, aus der sich die Herrschaft der „Gelbmützen“ entwickelte, einer der vier Spielarten des tibetischen Buddhismus mit dem Dalai Lama an der Spitze unter chinesischer Oberhoheit. Die soziale Situation war mittelalterlicher Feudalismus schlimmster Prägung – bis hin zum Häuten als Todesstrafe.
Traditionelle tibetische Medizin brachte so manche Absonderlichkeit hervor: Goldner löste ungläubiges Kopfschütteln aus, als er berichtete, daß die Exkremente von Mönchen als Medizin verabreicht wurden – doch im Heinrich-Harrer-Museum in Kärnten ist das zu besichtigen.
Immer wieder gebe es Meldungen, wonach die tibetische Sprache und Kultur unterdrückt würde. Goldner wies darauf hin, daß der Dalai Lama bei einem Treffen mit Mao Tsetung erreichte, daß Tibetisch zu einer der sechs offiziellen Amtssprachen neben dem Han-Chinesisch erklärt wurde. Dabei machen die heute 2½ Millionen Tibeter nur 2 Promille der chinesischen Bevölkerung aus. Während der „Kulturrevolution“ wurden auch in Tibet viele Klöster zerstört – doch sei das keine anti-tibetische, ethnisch motivierte Säuberung gewesen, sondern Verbrechen, von denen ganz China überzogen wurde.
Goldner referierte die Biographie des Dalai Lama. Bemerkenswert ist, wie die Grünen-Mitgründerin Petra Kelly ihm zu internationalem Ansehen verhalf. Zu berichten, dank welcher Umstände der Dalai Lama zu seinem Friedensnobelpreis kam oder wer außer dem Chef der Aum-Sekte (Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn 1995) zu seinen Freunden zählt, würde den Rahmen eines Veranstaltungsberichts sprengen.
Mit rund 100 Besuchern war der Club Voltaire brechend voll. Gebannt lauschte das Publikum dem sehr langen und detailreichen Vortrag von Colin Goldner – streckenweise unterbrochen von Zwischenrufen v.a. von Vertretern der Deutschen Buddhistischen Union.
Tibet ist weit – warum ein Thema für die HU? wurde Peter Menne schon vor der Veranstaltung gefragt. Aus zwei Gründen ist der Dalai Lama ein Thema gerade auch für Deutschland: Zum einen beherrscht er als Symbolfigur (scheinbar) friedlicher Politik auch die innenpolitsche Debatte. Der Dalai Lama ist nicht nur Projektionsfläche vieler Gutmenschen, er mobilisiert auch Massen in Deutschland. Daraus ergibt sich fast der zweite Grund – der alte HU-Grundsatz der Trennung von Kirche und Staat. Die christlichen Kirchen schrumpfen glücklicherweise – doch andere, zumeist esoterische Glaubenszirkel (= „Kirchen“ im weiteren Sinne) wachsen leider nach. (Zu) vielen deutschen Esoterikzirkeln gilt der Dalai Lama als Leitfigur: gewissermaßen ein Pendant zum katholischen Papst (wenn auch mit noch geringerer Legitimation). Die politischen Kontakte des informellen Oberhaupts der Esoterik-Szene machten es wert, ihm einen Abend zu widmen.
Lesetip:
Colin Goldner: Dalai Lama – Fall eines Gottkönigs
Aschaffenburg: Alibri-Verlag,
735 Seiten, Fotos, kartoniert, Euro 34,–
ISBN 3-86569-021-1