Migration, Menschenrechte und Geschlecht. Vortrag von Prof. Dr. Ursula Apitzsch in der Reihe "Leitkultur Menschenrechte".
Datum: | Donnerstag, 15. Februar 2007 |
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Was sind Menschenrechte wert, wenn man nichts hat als sie? Der aktuelle Fall Kurnaz zeigt, dass man Menschenrechte fast nie mit Berufung auf das blosse Menschsein durchsetzen kann, sondern fast immer nur mit Hinweis auf einen besonderen Bürgerstatus z.B. als Engländer, als Amerikaner, als Deutscher. Deutsche Behörden sahen keinen Anlass, sich vordringlich mit Kurnaz‘ bedrohten Menschenrechten zu befassen, da er als Angehöriger der 2.Generation –wenn auch in Deutschland geboren und aufgewachsen- kein deutscher Staatsbürger war. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr Migrationsprozesse über Generationen hinweg Bürgerrechte schmälern und damit auch die Menschenrechtssituation beeinflussen.
Ganz besonders gilt die Einschränkung von zivilen, politischen und sozialen Rechten in der Migration für Frauen. Fast immer ist ein gefestigter Aufenthaltsstatus gebunden an eine legale bezahlte Arbeit. Oftmals ist der Aufenthaltsstatus der Frauen an den Ehemann oder den Arbeitgeber gebunden. Fliehen z.B. ausländische Hausangestellte vor Übergriffen oder absoluter Kasernierung, werden sie zu Illegalen. Diese Bedrohung des Rechtsstatus von Migrantinnen ist insofern besonders bedeutsam, als wir heute allgemein von einer Feminisierung der Migration sprechen können.
Feminisierung der Migration bedeutet nicht nur, dass vergleichsweise immer mehr Frauen auf der ganzen Welt wandern, sondern dass sich auch der Typ der Migration ändert. Kennzeichnend für die neue Migrationssituation in Europa ist die Irregularisierung der Migrationsbewegungen im Zusammenhang mit der Einwanderung häuslicher Pflegekräfte, nach denen eine grosse Nachfrage besteht. Es ist die Frage, ob mit der Berufung auf Menschenrechte in Verbindung mit der Antidiskriminierungs-Richtlinie in Europa ein neues inklusives Konzept von Staatsbürgerschaft entwickelt werden kann, auf das sich Einheimische wie Migranten unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem Geschlecht beziehen können und das auch Reproduktionsarbeiten jenseits von Normalarbeitsverhältnissen zur Grundlage sozialer Rechte macht. Die Hoffnung auf eine solche Entwicklung gründet sich jedoch zunächst weniger auf Politiken von oben als auf soziale Bewegungen von unten.
Ursula Apitzsch ist Professorin für Soziologie und Politikwissenschaft an der J.W.Goethe-Universität Frankfurt und Direktorin im Cornelia Goethe Centrum für Frauen- und Geschlechterforschung. Sie hat über verschiedene Formen der Migration international publiziert.
Die Frankfurter Rundschau veröffentlicht Frau Apitzsch‘ Thesen auf http://www.fr-online.de/standpunkte.
In der Reihe „Leitkultur Menschenrechte“ beleuchten Humanistische Union und Frankfurter Rundschau weiter, wie konsequent die politischen, sozialen und kulturellen Rechten eines jeden menschlichen Individuums eingelöst und garantiert werden.