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Ordnung. Und Recht? Der Frankfurter Magistrat und die Demon­s­tra­ti­ons­frei­heit

11. Juli 2012

Vom 18. bis 20. Mai 2012 fand in Köln eine Konferenz zu Bürgerrechten in der digitalen Gesellschaft statt. Sie wurde nicht verboten; in den Foyers, an den Informationsständen und bei den Vorträgen herrschte buntes Treiben, Polizeiaufgebote waren nicht zu sehen.

Normalerweise würde man ja auch nichts Anderes erwarten. Doch zur gleichen Zeit gab es auch andere Szenen: eine abgesperrte und von Polizeibeamten bewachte Innenstadt, U-Bahn-Züge, die ohne Halt durch verlassene Stationen fahren. Frankfurt am Main mit seiner demokratischen Tradition, wo 1848 in der Paulskirche erstmals die deutsche Nationalversammlung zusammentrat, bot an diesem Wochenende ein beklemmendes Bild. Als „Blockupy“ wurden Protestaktionen durch ein breites Bündnis von Organisationen angekündigt – und fast alle durch die Behörden verboten. Das seit Monaten bestehende „Occupy“-Camp vor der Europäischen Zentralbank wurde geräumt, verbleibende Demonstranten weggetragen, der Willy-Brandt-Platz und seine Umgebung abgesperrt. Berichten zufolge wurden Aktivisten auch daran gehindert, das Grundgesetz auf der Straße zu verteilen. Anderen Berichten zufolge wurden Demonstranten mit der Begründung „Antikapitalismus“ in Gewahrsam genommen. Die einzige genehmigte Demonstration fand am Samstag in Begleitung eines massiven Polizeiaufgebots statt – nachdem auch die Zufahrtswege zur Stadt abgesperrt und viele zu der bundesweit angekündigten Demonstration anreisende Teilnehmer wieder nach Hause geschickt wurden. Die Versagung des grundgesetzlich garantierten Demonstrationsrechts ist in dieser Form in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel. Eins steht fest: Effektiver als die Polizei hätten keine Blockadeaktionen die Stadt Frankfurt lahm legen können.

Die Verbote waren im Vorfeld gerichtlich bestätigt worden – aufgrund der Gefahrenprognosen der hessischen Polizei. Formaljuristisch sind die Verbote damit legitimiert. Dennoch bleibt die Erinnerung an finsterste Zeiten – auch bei solchen, die die Ziele der Occupy-Bewegung nicht teilen. In einem offenen Brief (s. Nebenseite) hatte die Humanistische Union in Frankfurt die Verantwortlichen zuvor aufgefordert, die angemeldeten Demonstrationen zu genehmigen. Bedauerlich, dass das Bundesverfassungsgericht, das in letzter Zeit häufig als letzte Bastion den eher nachlässigen Umgang der politisch Verantwortlichen mit dem Grundgesetz korrigieren musste, diesmal nicht eingriff: Aus formalen Erwägungen lehnte es ab, sich mit den Demonstrationsverboten zu befassen.

Aufgrund der polizeilichen Prognosen wurden die Demonstrationsverbote und Einschränkungen mit der Gefahr von Ausschreitungen während der geplanten Aktionen begründet. Dass der Magistrat und die Behörden eine Verantwortung für die öffentliche Sicherheit tragen, ist unbestritten. Eine ganze Stadt deswegen tagelang in den Ausnahmezustand zu versetzten, wie es der schwarz-grün (!) dominierte Magistrat in Frankfurt zu verantworten hat, sprengt aber die Grenzen der Verhältnismäßigkeit. Auch wenn „gewaltbereite“ Teilnehmer bei einer Demonstration zu erwarten sind: Das rechtfertigt nicht diese Einschränkung des Grundrechts auf Versammlung und freie Meinungsäußerung. „Wir haben die Entscheidung von Oberbürgermeisterin Roth und Ordnungsdezernent Frank für ein Totalverbot aller Versammlungen kritisiert und hätten uns gewünscht, dass im Gespräch zwischen Anmeldern und der Stadt vorab ein Kompromiss bezüglich der Anzahl der Anmeldungen, der Orte und der Routen gefunden worden wäre“, so der Fraktionsvorsitzende der Grünen in einer Pressemitteilung nach den Protesten. Immerhin – auch wenn sich die ganze Erklärung wie eine müde Rechtfertigung liest.

Presseberichten zufolge standen bei der einzigen genehmigten Demonstration letztendlich ca. 25.000 Demonstranten ca. 5.000 Polizeibeamten gegenüber. Allen Berichten zufolge verlief die Demonstration friedlich – dennoch wurden offenbar ca. 600 Teilnehmer in Gewahrsam genommen. Zwei Rauchbomben seien gezündet worden (man vergleiche das einmal mit der Situation bei so manchem Fußballspiel). Den vorher prophezeiten Horrorszenarien standen friedliche Proteste gegenüber, die von den Veranstaltern als großer Erfolg gewertet wurden.

Noch einmal: Die Behörden tragen eine Verantwortung für die öffentliche Sicherheit – das steht außer Zweifel. Aber sie tragen vor allem eine Verantwortung für Demokratie und Bürgerrechte, zu denen die Versammlungsfreiheit gehört. Sie einzuschränken legt die Axt an unsere freiheitliche Verfassung. Erhofft hätte man sich ein Wort von Bundespräsident Gauck – ist doch die Freiheit das zentrale Thema seiner Präsidentschaft. Unter anderem die Leipziger Montagsdemonstrationen hatten einen entscheidenden Beitrag zur friedlichen Revolution in der DDR geleistet. Doch am gleichen Wochenende fand in München ein bedeutendes Fußballspiel statt. Man muss eben Prioritäten setzen.

Stefan Hügel
ist Mitglied der Humanistischen Union in Frankfurt am Main

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