Startseite » Pressemeldungen » »Anzustreben ist nicht ein besserer Strafvollzug, sondern etwas, das besser ist als Strafvollzug.« Zum Tod von Helga Einsele

»Anzustreben ist nicht ein besserer Straf­vollzug, sondern etwas, das besser ist als Straf­voll­zug.« Zum Tod von Helga Einsele

20. Mai 2005

Helga Einsele wurde am 9. Juni 1910 in Dölau bei Halle geboren. In einem liberalen Umfeld aufgewachsen, schloss sie sich während des Jura-Studiums in Heidelberg – nach „Überwindung bürgerlicher Skrupel“ – bald sozialistischen Studentengruppen an. Ihr Examen absolvierte sie bei dem sozialdemokratischen Strafrechtler und Rechtspolitiker Gustav Radbruch, dessen Aufmerksamkeit für die politischen und sozialen Probleme des Rechts sie tief beeindruckten. Von ihm bezog sie auch die Überzeugung, dass es mit einer Reform des Strafvollzugs nicht getan sei, dass vielmehr ein anderer Umgang mit Gesetzesverstößen notwendig ist. Solche Überlegungen müssen damals, lange vor der Reform der Strafanstalten, den Bemühungen um eine demokratische Kontrolle der Gefängnisse und der Ausrufung des Resozialisierungsziels wie eine ferne Utopie geklungen haben.

Helga Einsele aber wollte nicht nur einer Utopie anhängen. Über Gustav Radbruch und Fritz Bauer – dessen Einsatz für die Entnazifizierungen sie begleitete – wurden ihr nach dem Krieg zwei mögliche Positionen angetragen: vor die Entscheidung gestellt, die Leitung der Polizeidirektion oder eines Zuchthauses für Frauen anzunehmen, entschied sie sich kurzerhand für Letzteres. So begann 1947 ihre Arbeit als Leiterin des Frauenvollzugs in Frankfurt-Preungesheim. In den kommenden 28 Jahren baute sie hier ihr Lebenswerk auf. Helga Einseles oberstes Ziel war es, die Würde der Gefangenen zu achten und ihre Rechte weitgehend zu wahren. Sie forderte von den Beamten einen respektvollen Umgang mit den Gefangenen ein und setzte durch, dass Strafgefangene jetzt mit „Sie“ anstelle des vereinnahmenden „Du“ angesprochen wurden. Wo immer es ihr möglich erschien, bezog sie die Gefangenen in die Entscheidungen des Haftalltags ein und praktizierte Formen der Mitbestimmung, bevor diese als Insassenvertretungen oder Vollzugsbeiräte institutionalisiert wurden. Ihre populärste Entscheidung war sicherlich die Einrichtung eines Mutter-Kind-Hauses in ihrer Haftanstalt. Den Kindern blieb dort die Einweisung ins Heim erspart, die ansonsten mit dem Haftantritt der Mutter verbunden war. Wegbereiterin war sie darüber hinaus mit den ersten Angeboten einer therapeutischen Behandlung und der Unterstützung von Selbsthilfegruppen für Gefangene.

Mögen die politischen und theoretischen Urheberschaften an der Strafvollzugsreform der 70er Jahre umstritten sein, Helga Einsele konnte von sich behaupten, mit ihrer Arbeit das praktische Vorbild der sozialliberalen Strafrechtsreform abgegeben zu haben. Der Erfolg ihrer Bemühungen um einen humanen Strafvollzug, die im Vergleich zu anderen Haftanstalten geringeren Rückfallquoten, waren der Beweis, dass ein fürsorglicher Umgang mit Gefangenen nicht dem Schutzinteresse der Gesellschaft widerspricht.

Das Engagement für die Gefangenen trug nicht immer zu ihrer Beliebtheit bei. Als sie sich in den 70er Jahren für die Rechte der bei ihr inhaftierten RAF-Mitglieder einsetzte, witterte das BKA darin eine „Unterstützung terroristischer Kreise“. Aber auch über den Kreis ihrer Haftanstalt hinaus bewies Helga Einsele häufig Widerspruchsgeist. Nach ihrem Eintritt in die SPD (1953) wehrte sie sich gegen die Abkehr von sozialistischen Traditionen und unterstützte die Proteste gegen die Wiederbewaffnung Westdeutschlands, den NATO-Beitritt und die Notstandsgesetze. Von Helga Einsele stammte eine der 16 Gegenstimmen bei der Verabschiedung des Programms von Bad Godesberg, wofür sie den Rausschmiss aus der Partei und letztlich auch ihre berufliche Stellung riskierte.

Helga Einsele fand immer wieder Menschen, die ihre emanzipatorischen Ziele teilten. Die Humanistische Union würdigte ihr Engagement für einen humanen Strafvollzug 1969 mit dem ersten Fritz-Bauer-Preis. Im gleichen Jahr trat sie in den Beirat der Humanistischen Union ein.  Nach ihrer Pensionierung im Jahre 1975 engagierte sie sich weiter für die Rechte der Gefangenen, hielt zu vielen von ihnen persönliche Kontakte. Aber auch andernorts engagierte sie sich bis zuletzt: ob bei Ostermärschen, den Protesten gegen die Raketenstationierung in Mutlangen oder als Honorarprofessorin für Kriminologie.

Helga Eisele starb am 13. Februar 2005 in Frankfurt am Main.

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