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„Gerichtstag halten über sich selbst“

07. Februar 2011

Fritz Bauers Mahnungen und sein wunderbares Erbe. Frankfurter Rundschau vom 7.2.2011

Fritz Bauer (1903 bis 1968) war ein Mann mit großen Idealen, und er scheute keine Mühe, um nach seiner Rückkehr aus dem Exil mit jungen Leuten ins Gespräch zu kommen. Der Wunsch, an einem Neubeginn in Deutschland mitzuarbeiten, trieb ihn an. Aber er war keiner, der sich in den Mittelpunkt stellte. Sogar in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen, die von 1963 bis 1965 stattfanden und die er vorbereitet und ermöglicht hatte, trat der Hessische Generalstaatsanwalt nicht persönlich als Ankläger auf. „Bis in den Tod war er so bescheiden aufgetreten, dass niemand in ihm Hessens höchsten Ankläger vermutet hätte“, schreibt der Autor Horst Krüger. Hilmar Hoffmann registriert in seinem Buch „Die großen Frankfurter“, dass Fritz Bauer von dieser Stadt keine Ehrung erhalten hat, keine Ehrenplakette, keine Ehrenbürgerschaft, keine Goethe-plakette. Erst jetzt zeichnet sich ab, dass eine Straße nach ihm heißen wird: im neuen Stadtteil Riedberg, wo noch andere Nazi-Widerständler ihr Andenken auf einem Straßenschild bekommen haben.

Eine Initiative aus dem Publikum des Naxos- Kinos verlangte im Dezember in einem Brief an die Stadtverordnetenversammlung, neben der Benennung einer Straße oder eines Platzes dem Juristen auch postum „die Ehrenbürgerwürde zu verleihen“. Die Bürger streichen heraus, „welch wunderbares Erbe er uns hinterlassen hat“. Unter „Demokraten aller politischen Richtungen“ gelte  Bauer als „ein Mann, der die Modernisierung und Demokratisierung unserer Gesellschaft entscheidend mitbestimmt hat“.

Fritz Bauer, geboren in Stuttgart, war mit 23 Jahren bereits Richter am Landgericht Stuttgart, mit 27 Jahren war er Amtsrichter. Weil er Jude war, wurde der Jurist mit „brilliantem Examen“ (Michael Stolleis) ab 1933 in zwei Konzentrationslager eingesperrt, 1935 konnte er nach Dänemark, später weiter nach Schweden flüchten. Mit Willy Brandt, der ebenfalls nach Schweden emigriert war, gründete er eine Zeitschrift „Sozialistische Tribüne“. Nachdem Fritz Bauer als einziger seiner Familie nach Deutschland zurückgekommen war, zog er 1956 nach Frankfurt. Vier Jahre zuvor hatte er in einem Prozess gegen den Major Otto Ernst Remer in Braunschweig erreicht, dass die Ehre der Widerständler des 20. Juli 1944 wiederherge-stellt wurde. Wer sich gegen das NS-Regime gestellt hatte, auch wer emigriert war, wurde bis dahin im Nachkriegsdeutschland gern und oft als Vaterlandsverräter beschimpft. Die Ausgrenzung bedeutete, dass Hinterbliebene von Attentätern und anderen Widerständlern oft nicht mal Renten bekamen. Bauer hatte Erfolg mit seinem Plädoyer, gegen
ein verbrecherisches Regime könne es keinen Verrat geben; „das NS-Regime wurde gerichtlich zum Unrechtsstaat erklärt“, bilanziert die Humanistische Union. Diese erste Bürgerrechtsorganisation der Bundesrepublik, in der er auch mitgearbeitet hatte, stiftete unmittelbar nach seinem Tod den „Fritz-Bauer-Preis“, der an seinem Geburtstag verliehen wird. Erste Preisträgerin war 1969 die Frankfurterin Helga Einsele, Justiz-Reformerin wie Fritz Bauer und jahrzehntelange Leiterin des Frauengefängnisses.

„Gerichtstag halten über uns selbst“– das war die Maxime, nach der Fritz Bauer seine Landsleute angesprochen hat. An der Straßenfront des Gerichtsgebäudes an der Konrad Adenauer-Straße ließ er Artikel 1 des neuen Grundgesetzes anschrauben: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Der Satz steht bis heute für ihn. Er selber, der viele Anfeindungen und Drohbriefe wegstecken musste, hat seinen Erfolg nicht hoch eingeschätzt.

Ich komme mir vor, als ob die vier Wände auf mich stürzen“, hört man Bauer am Ende des Films von Ilona Ziok sagen. Der Satz fiel kurz vor seinem Lebensende.

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