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Eine Brücke zu den Bürger­rechten

12. Februar 2007

In Großbritannien können Einwanderinnen ihren

Aufenthaltsstatus gegenseitig legalisieren

Frankfurter Rundschau vom 12.02.2007

Was sind Menschenrechte wert, wenn man nichts hat als sie? Dies fragte Hannah Arendt kurz nach dem 2. Weltkrieg in ihrem berühmten Buch über „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ . Der aktuelle Fall Kurnaz zeigt, dass sich bis heute nichts geändert hat an der Tatsache, dass man Menschenrechte fast nie mit Berufung auf das bloße Menschsein durchsetzen kann, sondern fast immer nur mit Hinweis auf einen besonderen Bürgerstatus als Engländer, als Amerikaner, als Deutscher. Deutsche Behördensahen keinen Anlass, sich vordringlich mit Kurnaz bedrohten Menschenrechten zu befassen, da er als Angehöriger der 2. Generation – wenn auch in Deutschland geboren und aufgewachsen – kein deutscher Staatsbürger war. Dieses Beispiel zeigt, wie sehr Migrations-prozesse über Generationen hinweg Bürgerrechte schmälern und damit auch die Menschenrechtssituation beeinflussen. Wie stellt sich die rechtliche Situation der Migrantinnen dar? Ganz besonders gilt die Einschränkung von zivilen, politischen und sozialen Rechten in der Migration für Frauen. Fast immer ist ein gefestigter Aufenthaltsstatus – das heißt ein Minimum zumindest an zivilen und sozialen Rechten – gebunden an eine legale bezahlte Arbeit. Oftmals ist der Aufenthaltsstatus der Frauen an den Ehemann oder den Arbeitgeber geknüpft. Für viele ausländische Hausangestellte zum Beispiel, deren Arbeitgeber in oder nach den Golfkriegen aus der Golfregion nach Großbritannien zurückkehrten, war der zivile Status an den Verbleib im Haushalt des Arbeitgebers gebunden, dem sie rechtlos ausgeliefert waren. Flohen sie vor Übergriffen oder absoluter Kasernierung, wurden sie zu Illegalen. Diese Bedrohung des Rechtsstatus von Migrantinnen ist insofern besonders bedeutsam, als wir heute allgemein von einer Feminisierung der Migration sprechen können. Feminisierung der Migration bedeutet nicht nur, dass vergleichsweise immer mehr Frauen auf der ganzen Welt wandern, sondern dass sich auch der Typ der Wanderung ändert. Kennzeichnend für die neue Migrationssituation in Europa ist die Irregularisierung der Migrationsbewegungen im Zuge der Globalisierung, die zu neuen Mustern gegenüber den der klassischen Arbeitsmigrationen im Rahmen von Anwerbeverträgen geführt haben. Wir denken zum Beispiel an die Situation derjenigen Frauen, die Saskia Sassen im Zusammenhang der
„Feminisierung des Überlebenskampfes“ beschreibt. Ihrer Auffassung nach sind etliche Staaten, zum Beispiel der philippinische und thailändische, aktiv daran beteiligt, staatliche Einkünfte, die durch männliche Normalarbeit nicht mehr gewährleistet sind, durch Export weiblicher Arbeitskraft in jene Länder zu sichern, in denen eine große Nachfrage nach legalen oder illegalen Pflegetätigkeiten besteht. Dadurch fließen erhebliche Zahlungen sowohl an mehr oder weniger legale Vermittlungs-agenturen sowie an die Familien in die Herkunftsländer zurück. Wir sehen aber auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Ex- Jugoslawiens alleinreisende Frauen aus Polen, Rumänien, der Slowakei, die als Pflegekräfte in europäischen Haushalten arbeiten und damit gleichzeitig die im Herkunftsland gebliebenen Familien unterstützen Die Frage ist: erwächst diesen bislang oft illegal arbeitenden Frauen aus ihren in den Ankunftsregionen so unentbehrlichen Leistungen irgend ein Anspruch auf zivile, politische und soziale Rechte als Menschen und als Bürger?

Frauen erkennen sich gegenseitig Menschenrechte zu

Es ist die Frage, ob mit der Berufung auf Menschenrechte in Verbindung mit der Antidiskriminierungs-Richtlinie in Europa ein neues inklusives Konzept von Staatsbürgerschaft zu entwickeln ist, auf das sich Einheimische wie Migranten unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und ihrem Geschlecht beziehen können und das auch Reproduktionsarbeiten jenseits von Normalarbeitsverhältnissen zur Grundlage sozialer Rechte macht. Eine Aufwertung häuslicher unbezahlter Pflegearbeit als
eigenständige Quelle von Rechten erfolgte in der EU von oben aufgrund staatlicher Politik bislang nicht, wie Ute Gerhard und Anja Weckwert nachgewiesen haben. Druck von unten hat jedoch seit dem 19. Jahrhundert in Europa immer eine große Rolle gespielt, um das Recht auf zivile, politische und soziale Teilhabe als Menschenrecht einzufordern und damit gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen. Ein in seiner Art völlig neuartiges Beispiel dafür sind die Erfolge der ersten Gewerkschaft für häusliche Pflegekräfte in London, der transnationalen und trans-ethnischen „United Workers Association“ im Bereich von Domestic Care Work, über die Bridget Anderson berichtet hat. In der offiziellen britischen Regelung (der Labour- Regierung!) zur Erlangung eines legalen Aufenthaltsstatus für ausländische Hausangestellte war vorgesehen, dass ausgerechnet der frühere Arbeitgeber, dem zu entfliehen der Migrantin gelungen war, die Legalität der Einreise bezeugen sollte. Die von der Gewerkschaft durchgesetzte Regelung schafft etwas völlig Neues und bis dahin Unerhörtes: öffentliche und behördlich wird anerkannt, dass sich Migrantinnnen selbst gegenseitig Rechte zubilligen, indem die legale Einreise durch die Dauer der Gewerkschaftsmitgliedschaft belegt wird. Somit wurde das zunächst privat entstandene Netzwerk zu einem politisch wirksamen öffentlichen Raum. Abstrakte Menschenrechte wurden in der Form ihrer gegenseitigen Zuerkennung zu einer Brücke der Erlangung von Bürgerrechten. Die Autorin Ursula Apitzsch ist Professorin für Soziologie und Politikwissenschaft an der Johann Wolfgang – Goethe-Universität Frankfurt und Direktorin im Cornelia Goethe Centrum für Frauen- und Geschlechterforschung. Derzeit gehört sie einer transdisziplinären Arbeitsgruppe für Migrations- und Biografieforschung an. Sie hat zum Thema Migration international häufig publiziert.

Eine Brücke zu den Bürgerrechten

In der Reihe „Leitkultur Menschenrechte“ von Humanistischer Union und Frankfurter Rundschau hält Prof. Apitzsch am kommenden Donnerstag, den 15. Februar, ab 20 Uhr im Café Wiesengrund, Finkenhofstr. 17, Frankfurt a.M., den Vortrag „Migration, Menschenrechte und Geschlecht“

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