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Das öffentliche Hinsehen

07. Februar 2011

Niederschmetternde Dokumentation über den Aufklärer und Ankläger Fritz Bauer. Frankfurter Rundschau vom 7.2.2011

Wer würde schon einen Generalstaatsanwalt im Café ansprechen. Heiner Halberstadt, der rote Heiner, der hat sich getraut. Es wird 45 Jahre her sein, da hat Halberstadt den Generalstaatsanwalt Fritz Bauer „im Café Hauptwache sitzen sehen, einen Packen Zeitungen vor sich“. Da ist er hingegangen, zu dem Mann mit der Zigarre und hat ihm gesagt: „Ich kenne Sie.“ Was nicht direkt wahr war, aber indirekt. Fritz Bauer und Heiner Halberstadt, die hatten eine gemeinsame Freundin, das war Helga Einsele, die spätere Leiterin des Frauengefängnisses. Auch eine Justiz-Reformerin. Auf die Art kamen der Postarbeiter aus Dortmund und der Dr. jur. aus Stuttgart ins Gespräch: „Er war interessiert, wie ich die Nazi-Zeit erlebt und mitgemacht habe“, berichtete Halberstadt (82) am Samstagabend im Club Voltaire. So lange es noch Täter gibt, ist die NS-Vergangenheit für Bauer Gegenwart. Er konnte sie nicht kühl analysieren

Um solche Fragen zu stellen und seine Antworten darauf zu geben, war der jüdische Emigrant Fritz Bauer aus Schweden, wohin er nach der KZ-Haft entkommen war, nach Deutschland zurückgekommen, als einziger seiner Familie: „Die NSVergangenheit kann er nicht kühl analysieren oder historisieren“, schreibt Michael Stolleis im Vorwort der Biographie von Irmtraud Wojak – „sie ist für ihn Gegenwart, solange es noch Täter gibt, die ungeschoren ins bürgerliche Leben zurückgekehrt sind“. So einer war der Antifaschist Heiner nicht, er nahm Fritz Bauer mit in den Club Voltaire:,„Vielleicht zweimal war er hier.“ Um von Bauer mehr zu hören, waren amSamstag viele, viele Menschen in den Club geströmt, nicht mehr als ein paar Quadratzentimer Platz gab es drinnen für die meisten. Heiner Halberstadt hat sich später gefragt: „Woher kommt bloß plötzlich das Interesse?“ Die offizielle Geschichtsschreibung der hiesigen Historischen Kommission etwa hat nämlich Fritz Bauer, auf dessen Engagement hin nicht zuletzt die Auschwitz-Prozesse in Gang kamen, im Standardwerk „Frankfurter Biographie“ knapp acht Zeilen gewidmet. Das Buch ist 1994 erschienen. Es gab an dem Abend im Club die Gelegenheit den Film „Fritz Bauer –Tod auf Raten“ zu sehen, eine ausführlich recherchierte, aufschlussreiche, niederschmetternde Dokumentation über das Bemühen des Aufklärers und Anklägers Bauer, „die Öffentlichkeit zum Hinsehen zu bringen“, wie Michael Stolleis es nennt. Dieser bescheidene schwäbisch-jüdische Idealist war es, der in der Auseinandersetzung mit der grausamen Vergangenheit die Zeitenwende vorbereitete. Dabei hat er sich hier, wie man im Film hört, „im Feindesland“ gefühlt. „Also der Bauer hatte eigentlich nur Feinde“, urteilt sein Freund Gerhard Zwerenz vor der Kamera. Fritz Bauer selber, mit zerfurchtem Gesicht und nuscheliger Aussprache, mochte manchmal „verzweifeln, wenn man sieht, wie schwer die Aufgabe ist“. Im letzten Bild des Films sieht man seinen Neffen Rolf Tiefenthal beim Gang zum Grab des Onkels; und nach dem Abspann stehen dieWorte im Raum: „Ich glaube, die Deutschen hatten Angst vor ihm. Aber er hat sie besiegt.“ Da verharrt die zusammengequetschte Gästeschar im Club erst Mal ein paar Momente wie betäubt. Seit die hessische Erstaufführung im Frankfurter Naxos-Kino unter dem Titel „Fritz Bauer ermordet?“ angekündigt war, seit eine weitere Aufführung zunächst vom Produzenten verboten wurde, ist der Film ein Renner. Wie und warum Bauer gestorben ist, den man im Sommer 1968 in seiner Frankfurter Wohnung tot in der Badewanne fand, das wird im Film von Freunden, Verwandten und Mitstreitern immer wieder angesprochen. Der Berliner Filmemacherin Ilona Ziok ist dieser Tod auch nicht geheuer, wie man heraushören konnte. Denn nach der Obduktion (die keine „nach der Strafprozessordnung“ war), hielten die Gutachten „Alkohol und Gift im Blut“ fest. Noch einen Tag nach dem Tod Bauers sei ein Wert von 1,0 Promille festgestellt worden; was bedeute, dass der Mann zum Todeszeitpunkt 2,0 Promille Alkohol im Blut gehabt haben müsse. Die Akte darüber hätte die Staatsanwaltschaft „nicht rausgegeben“, sie hätte „kein Aktenzeichen“ getragen.

Die Umstände seines Todes sollten die Umstände seines Lebens im Nachkriegsdeutschland nicht überlagern

„Jeder Zeitzeuge“, sagte die Regisseurin, hat mich als erstes gefragt, ob ich weiß, wie er zu Tode gekommenist“. Dass aber nun die Fragen nach den Umständen des Todes von Fritz Bauer die nach den Umständen seines Lebens im Nachkriegsdeutschland überlagern, das erregt die Filmemacherin. Im Club schien sie ihren Film verteidigen zu wollen. In dem Titel „Tod auf Raten“ sei keineswegs eine Mordthese verborgen; „es geht darum, dass Fritz Bauer nach und nach zugrunde gerichtet wurde, in seiner Arbeit“. Bald werde der Film in Frankreich, Polen und Russland gezeigt, dann könne man „das nicht mehr wegschieben“, Fast beiläufig fiel dann noch, dass „auch die ARD“ ihn ins Programm nehme.

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